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Vor uns die Welt…

„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Johann Wolfgang von Goethe war wirklich ein schlauer Mensch. Und er weiß wovon er sprach, denn er hatte ja selber fünf Kinder. Ich habe drei und bin seit 19 Jahren Mutter. Das klingt so wahnsinnig lange, aber die Zeit bis hierher ist nur so verflogen… Doch drehen wir die Zeit noch mal ein kleines bisschen zurück.

Juli 2017, Frankfurter Flughafen: Wir drücken uns noch einmal fest, dann löst Niklas sich und geht die Treppe hinauf Richtung Gate. Er dreht sich nicht noch einmal um. Ich stehe dort, um mich herum sind viele Menschen die ich nicht wahrnehme, und es fühlt sich so schlimm an, ich möchte ihn gehen lassen und gleichzeitig hinter ihm her laufen und ihn zurück holen. War er nicht gerade noch ganz klein und lief mit seinem „Nussi“, seinem Kuscheltuch durchs Haus? Ist mit dem Laufrad durch den Park geflitzt, mit fünf schon vom Zehnmeterbrett gesprungen und hat stolz das erste Mal Fußballschuhe getragen? Mein Herz ist so unglaublich schwer. Und nicht nur meins, auch das meines Mannes und das der Geschwister. Uns allen ist klar: unsere Familienzeit, die 14 Jahre, die wir seit der Geburt meiner Tochter alle zusammen waren, wir, die BIG FIVE, diese Zeit ist vorbei. Einen Alltag mit Schule und Arbeit wie bis zu diesem Zeitpunkt werden wir nicht mehr haben. Wir stehen noch eine Weile weinend zwischen all den Menschen, halten uns fest. Dann fahren wir nach Hause. Die ersten Tage sind schlimm.

Niemand hat mich vorbereitet auf diesen Schmerz beim Abschied,
auf diese Sehnsucht und diese tiefe Liebe,
die sich heftig gegen das Loslassen wehrt.

 

Ich kann nichts machen und bin wie blockiert. Frage mich, warum ich ihn dazu ermutigt habe, diesen Schritt zu gehen. Warum ich dabei eigentlich nicht an mich gedacht habe? Rufe eine Freundin an, die diese Erfahrung bereits gemacht hat. „Es wird besser, sobald er angekommen ist“, versichert sie mir. „Und Du wirst Dich an die Situation gewöhnen.“

Ein Jahr ins Ausland

Die Idee, dass Niklas nach der Schule für ein Jahr ins Ausland geht um eine Highschool zu besuchen kam eigentlich von seiner Lehrerin. Und da Kinder von Freunden das auch gemacht hatten und sehr begeistert waren, fanden wir die Idee gut und unterstützten sie. Niklas würde im Sommer 2017 seinen mittleren Schulabschluß machen und hatte noch so gar keine Idee, was dann kommen sollte. Warum also nicht ins Ausland, ein weiteres Jahr zur Schule gehen und vor allem richtig gut Englisch lernen? Ich hatte diese Chance nie und fand die Idee super. Wir haben eine Organisation gesucht, uns zunächst bei einem Informationsabend über die Möglichkeiten erkundigt und dann einen Beratungstermin gebucht. Schnell stand fest, dass für Niklas Neuseeland am Ehesten in Frage kam. Also haben wir das Programm gebucht und nach mehreren Terminen hat Niklas sich für eine Highschool in der Nähe von Auckland entschieden.

Das war kurz vor Weihnachten. Dann kamen Termine über Termine im letzten Jahr, die Abiturvorbereitungen von Jonas (mein älterer Sohn), die Konfirmation meiner Tochter Ella, der letzte Schultag von Jonas, der letzte Schultag von Niklas, der Abiball und die feierliche Zeugnisübergabe an der Realschule. Zum Nachdenken – oder Vortrauern – war kaum Zeit.

Gleichzeitig ist klar, dass auch Jonas nach dem Abitur und vor dem Studium reisen will. Und damit steht fest, dass zwei Kinder gleichzeitig flügge werden und langsam das Nest verlassen.

Tapfer will ich nicht sein, denn dazu bin ich ein viel zu emotionaler Mensch. Natürlich will ich es meinen Kindern nicht schwer machen zu gehen, aber das ich traurig bin und sie vermissen werde, dass dürfen sie ruhig wissen. Es kam, wie meine Freundin gesagt hatte. Als Niklas in Neuseeland ankommt und schließlich bei seiner Gastfamilie ist geht es uns besser. Als wir das erste Mal facetimen ist es fast so als wäre er bei uns. Die ersten Wochen sind doof, weil Sommerferien sind, aber sie vergehen. Überhaupt ist der Kontakt per WhatsApp und Facetime ein Segen. Es ist mir ein Rätsel, wie Eltern das früher ausgehalten haben. Wir schreiben fast täglich in unserer Familiengruppe. Ganz automatisch, ohne irgendwelchen Zwang.

Als wir Jonas Mitte September zum Flughafen bringen ist der Abschied genau so schwer, aber wir wissen dass wir uns in fünf Wochen in den Herbstferien wieder sehen.

Plötzlich sind wir nur noch zu dritt.

Das ist komisch, aber wir gewöhnen uns daran und der Alltag geht ja auch trotzdem weiter. Ehrlich gesagt freue ich mich auch ein bisschen darüber dass ich viel weniger einkaufen muss (was ich zu Beginn irgendwie nicht wirklich realisiere, so dass wir immer viel zu viel zu essen zu Hause haben), dass es im Haus viel ordentlicher ist und ich weniger Wäsche habe. Hallo, von fünf auf drei Personen? Wäschemässig ein Träumchen.

Niklas hat in Neuseeland ein bisschen Pech mit seiner Familie, aber er regelt diese Situation sehr selbstständig und wechselt nach drei Monaten in eine neue Familie. Er hat Freunde gefunden, spielt für die Fußballschulmannschaft und geht mit seinem neuen Gastbruder fischen. Sonntags, wenn wir in Deutschland frühstücken, facetimen wir oft und es ist fast als säße er mit am Tisch. Nur drücken kann man ihn nicht. Ich vermisse ihn sehr, aber der Schmerz ist nicht mehr ganz so schlimm. Wenn es ihm gut geht, dann geht es auch mir gut.

Jonas ist happy in Kapstadt. Er absolviert dort einen Cambridge Kurs an einer Sprachschule, bewegt sich ganz selbstverständlich durch die Stadt und hat viele internationale Freunde gefunden. Als wir uns nach fünf Wochen wieder sehen ist er ein ganzes Stück erwachsener geworden. Der Abschied aus Kapstadt ist dann schon ein bisschen leichter. Natürlich sind wir traurig, aber die Situation ist nicht mehr ganz so neu.

Der Alltag zu Hause hilft gegen das Vermissen. Wir haben komischerweise nicht mehr Zeit, denn an unseren persönlichen Abläufen hat sich ja wenig geändert. Wir arbeiten, treffen Freunde, kochen, gehen ins Kino und zum Sport und verreisen das erste Mal zu dritt. Das ist anders, aber nicht weniger schön.

Heilig Abend sitzen wir im Flugzeug und sind auf dem Weg nach Neuseeland. Anstatt traurig unterm Tannenbaum zu sitzen fliegen wir den Jungs einfach hinterher um gemeinsam ein paar Wochen im Land am anderen Ende der Welt zu verbringen. Auch Jonas ist inzwischen von Kapstadt nach Neuseeland gereist. Von den Organisationen wird eigentlich immer abgeraten ein Kind im Ausland zu besuchen. Für uns war es das Beste was wir machen konnten. Niklas konnte uns sein Neuseeland zeigen. Wir durften seine Familie kennen lernen und sind dankbar, dass er so herzliche und nette Menschen kennen gelernt hat. Eigentlich hätten wir bereits nach zwei Tagen zurück fliegen können, denn da war klar: er ist angekommen. Jonas verbringt eine Woche mit uns, dann möchte er alleine reisen und auch das ist okay.

Das Loslassen ist nicht mehr so schwer. Es ist ein Prozess.

Ein Prozess, auf den ich nicht vorbereitet war, den ich aber meistern werde.

Also liebe Mütter da draussen: das erste Loslassen fällt schwer. Die erste Übernachtung im Kindergarten, die erste Klassenfahrt. Ein Auslandsjahr ist noch einmal eine Nummer schwerer. Aber wir schaffen dass und es das muss auch so sein.

Eine Leserin schrieb unter eins meiner Instagrambilder: gerade Kinder mit festen Wurzeln können hinaus in die Welt. Sie haben von uns gelernt, dass sie immer wissen wo sie hin können. Das gibt Ihnen die Sicherheit sich alles zu trauen und selbstbewusst durchs Leben zu laufen.

Genau so ist es.

Eure Ricarda

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